Freitag, 29. August 2014

Tag 31

Ein letztes Mal aufwachen in Paris. Zumindest habe ich am letzten Abend schon gepackt und muss nicht im Morgengrauen aufstehen. Ein Koffer, zwei Handgepäcks-Taschen. Ach, und dann noch alles, was in keine Tasche mehr gepasst hat: Hoody, Lederjacke und - oh Schreck - das giftgrüne Handtuch. Wollte keinem Mitbewohner ein benutztes Handtuch andrehen, habe es aber auch nicht übers Herz gebracht, es wegzuwerfen. Also kommt es mit, im RER zum Aéroport CDG.
Verlasse Cité Internationale Universitäre und die Maison Heinrich Heine. Ein wunderbarer Ort, obgleich sie etwas am Gender-Verhältnis drehen sollten, damit Étudiants glücklicher sind. Und vielleicht pains au chocolat für Spätaufsteher aufheben. Davon abgesehen wirklich fantastisch hier.
Auch cours de civilisation française war sehr interessant und lehrreich. Dozenten durchweg fasziniert vom ihrem Fach (zum Professoren nach ihm: "Entschuldigen Sie, dass ich überzogen habe, aber ich habe so viel zu erzählen! Wie, Sie dürfen eine Doppelstunde unterrichten? Das möchte ich auch!"). Ebenso sind alle Franzosen begeistert, sobald man von Kursteilnahme erzählt. Manche finden das Konzept so großartig, dass sie selbst Stunden geben wollen (Schuldrecht anyone?). Aber aufpassen: Ein Dozent erzählt, er hatte conférence zur 68er Bewegung beantragt. Programmdirektor wies Vorschlag zurück. Das seien Ausländer, sie würden Angst kriegen.





Am Flughafen Vogue September Issue, 444 Seiten Hochglanz-Werbung, gekauft, weil ich einfach noch nicht genug Gepäck habe. Koffer wiegt nur 21,8 Kilo (god knows, das Handgepäck ist vermutlich genauso schwer). Ich bin voll gegen Verschwendung. Dann fast nach Basel geflogen. Bildschirme zeigten Gate nicht an und Ansage klang verdächtig nach Gate 26. Aber alle sprachen Schweizerdeutsch, für Flug nach Norddeutschland war das schon seltsam. Rennen zum Gate 36. Unter den letzten drei Passagieren betrete ich Maschine. (Panda später in großen Schwierigkeiten, da Amy ihn für Mitbringsel hält)



Am Flughafen erwartet mich.... niemand?! Nein, keiner da, der mir entfernt bekannt vorkommt. Ja, gut, wird auch so gehen. Aber ein Bruder kommt doch, draußen, vor dem Flughafen.


La fin.

Größter Dank gilt meinen Eltern, die mir diesen Aufenthalt ermöglicht haben trotz anfänglicher Skepsis ("Bist du sicher, dass der Kurs überhaupt existiert? Und das Wohnheim, hat man dir den Aufenthalt je schriftlich bestätigt?") und die mit vier reisefreudigen Kindern diesen Sommer zu maître de Skype geworden sind. Merci auch an Dich, fürs Lesen!
In der Gefahr, im Kitsch zu versinken, wage ich es trotzdem, mit den Zeilen Jacques Brels zu enden:

Mais la fin du voyage
La fin de la chanson
Et c'est Paris tout gris
Dernier jour, dernière heure
Première larme aussi
Et c'est Paris la pluie
Ces jardins remontés
Qui n'ont plus leur parure
Et c'est Paris l'ennui
La gare où s'accomplit
La dernière déchirure
Et c'est Paris fini
Loin des yeux loin du cœur
Chassé du paradis
Et c'est Paris chagrin
Mais une lettre de toi
Une lettre qui dit oui
Et c'est Paris demain
Des villes et des villages
Les roues tremblent de chance
C'est Paris en chemin
Et toi qui m'attends là
Et tout qui recommence
Et c'est Paris je reviens.


Donnerstag, 28. August 2014

Tag 30

Jetzt, da auch für die Franzosen die Ferien zu Ende gehen, stellt die Metro-Zeitung brisante Fragen: Warum arbeiten wir eigentlich an fünf Wochentagen? Und würden vier nicht auch reichen?? Der Autor hält ein verlängertes Wochenende für eine Spitzenidee, schließlich könnten so Arbeitsplätze geschaffen werden und bei Google klappt es schon heute.


Lehrreiche Metrofahrt also. Zur Oper, ohne bestimmtes Ziel vor Augen. Hier gefrühstückt und die Straßen hinunter zum Louvre. Zwar nicht reingegangen, aber Fotos von der Glasfassade gemacht. Zählt halb. Wirklich voll hier und ich hatte nicht viel Zeit. Busy busy. Konnte Touristen beim Fotografieren fotografieren (die ganz Coolen lassen sich mit ausgestreckter Hand, die die Pyramide "hochzieht", ablichten. Merken für nächste Parisreise.).







Weiter ins Marais. Weil ich den Place des Vosges noch nicht gesehen habe und weil ich es so mag. Eigentlich ist alles pittoresk. Man kann recht willkürlich die Kamera auf sein Umfeld richten und sans doute kommt dabei ein so-schön-ist-Paris-Bild heraus. Und hier - das muss Schicksal sein - wieder eine Cécile Jeanne Boutique. Mit den gold-roten Armbändern und Ketten, die ein bisschen an die Rosenkränze erinnern, die sie im Vatikan an Souvenirständen verkaufen. Aber hier viel schöner natürlich. Und auch keine religiöse Intention dahinter, meines Wissens nach. Also kaufe ich eines. Die Verkäuferin stimmt mir zu, dass man am letzten Tag in Paris etwas so Schönes nicht zurücklassen darf. Je ne regrette rien, etc.







Als Abschluss fahre ich zur Station Trocadéro, überquere die Seine zum Eiffelturm und laufe bis zum Invalidendom.



Marcel Proust, le temps retrouvé: Dozent gibt Einführung zu Proust: Wächst in der kleinen Stadt Illiers als Sohn eines Mediziners und der reich-geborenen Mutter auf. War eine arrangierte Ehe und die Mutter leidet, da Ehemann viele Mätressen und sie selbst wegen jüdischer Abstammung in Kleinstadt nicht akzeptiert. Teilt Kummer mit Sohn. Dieser studiert ausgiebig, sehr kultiviert. Um 1900, Marcel Proust ist 30 Jahre alt, sieht der Vater das nicht mehr ein, der Sohn solle endlich einen Beruf ergreifen. Marcel Proust wird also homme des lettres, will Reiseführer des Engländers John Ruskin übersetzen. Haken ist, Proust spricht kein Wort Englisch. Mithilfe von Arbeitsheften seiner Mutter macht er sich trotzdem an die Arbeit. Erst als Eltern sterben, fühlt er sich frei und beginnt seinen Roman. Ein Roman, der mit Konventionen bricht: Alle Formen der Sexualität werden vom Autor erörtert. Ein Autor, der jedes Geheimnis seiner Personen kennt. Themen Prousts sind durchgängig Leiden, Eifersucht und Empathie. Manuskript wird von allen Verlegern abgelehnt, da niemand etwas mit ihm anzufangen weiß. Proust lässt selbst drucken. Erst 1919 veröffentlicht Gallimard. Proust schreibt erstes und letztes Volumen der recherche du temps perdu im selben Jahr, nachts, im Bett. Freunde verprellt er, denn er besteht auf Treffen um fünf Uhr morgens an der Bar des Hotel Ritz. Es soll keinen Tag gegeben haben, an dem Proust nicht geschrieben hat.


Ganz toll: TED Talk über Eifersucht mit Bezug zu Proust anhören: http://youtu.be/_x1qkuvUxuI
"This year is the centennial of his masterpiece, "In Search of Lost Time," and it's the most exhaustive study of sexual jealousy and just regular competitiveness, my brand, that we can hope to have. (...) In the first volume, Swann's Way, the series of books, Swann, one of the main characters, is thinking very fondly of his mistress and how great she is in bed, and suddenly, in the course of a few sentences, and these are Proustian sentences, so they're long as rivers, but in the course of a few sentences, he suddenly recoils and he realizes, "Hang on, everything I love about this woman, somebody else would love about this woman. Everything that she does that gives me pleasure could be giving somebody else pleasure, maybe right about now." (...) Now Swann and Proust, we have to admit, were notoriously jealous. You know, Proust's boyfriends would have to leave the country if they wanted to break up with him. But you don't have to be that jealous to concede that it's hard work. Right? Jealousy is exhausting. It's a hungry emotion. It must be fed."  http://www.ted.com/talks/parul_sehgal_an_ode_to_envy/transcript?language=en


Les visages des Français: Frankreich ist multikulti, denn seit Jahrhunderten Destination von Saisonarbeitern und nicht zuletzt von angeheirateten ausländischen Prinzessinnen, die ihre Kulturen mitbringen. Immigrationsstrom reißt nicht ab. In Zeiten des Aufschwungs Immigration wegen Arbeitsplätzen. Während der Kriege werden sogar Verträge mit China geschlossen, um kämpfende Fabrikarbeiter zu ersetzen. Zudem viele Algerier und d'Outre Mer in Metropolregion. Man begegnet Thema in Liedern ( http://youtu.be/gPXtKGuG9rw und http://youtu.be/UsGDfQW-WC4 ), Filmen ( http://youtu.be/3z5cGEz6OCU und http://youtu.be/FMaS5EGhp2M ) und im Museum ( http://www.histoire-immigration.fr/ ).


Mich vom Viertel Montparnasse verabschiedet. Zum Packen in die Cité.



Mittwoch, 27. August 2014

Tag 29

Mein erstes Frühstück in der Maison Heinrich Heine (abgesehen von meinen H-Milch-und-Cornflakes-Versuchen in der Gemeinschaftsküche, nicht gut), denn das Café im Untergeschoss ist zurück aus den vacances. Dann doch Kurse gewählt, schweren Herzens, hoffentlich geht Plan auf. Das war also der Vormittag. Ich bin sehr langsam. Bild hier habe ich heute als Postkarte gesehen und fand es schön. Es hängt... in Berlin - sorry sorry sorry. 



Nachmittags zum Centre Pompidou. Von außen natürlich interessant wegen der Rohre, deren Farbton von der jeweiligen Funktion abgeleitet ist. Textausschnitt unten von Wikipedia. Aber von innen, für mich, noch unterhaltsamer, da zwei große bunte Shops voller Artikel ("20 Wege, Katzen zu zeichnen"), die in Maslows Pyramide zusammen mit Blogs wie diesem auf höchster Ebene rangieren. Könnte hier Stunden verbringen. Positiv: ich kann résister, jedenfalls fast. Ein paar Grußkarten (wiegen ja nichts) und ein kleines Poster (transportiere ich einfach mit dem Orangerie-Poster zusammen!) nehme ich aber doch mit, als Andenken (gilt das noch als Rechtfertigung?).







Museum geht zeitlich nicht: Kat ist in town !!! Wir gehen essen im Petit Saint Benoît mit escargots und Rotwein. Serveuse spricht stur mit allen französisch, verabschiedet sich dann aber mit einem perfekten "good bye". Rezept-Illustration unten von http://www.theydrawandcook.com/recipes/afternoon-in-paris-by-hannah-rosengren . Rückfahrt mit verspätetem RER. Seltsame Werbeposter, ganz bizarre. Am Flur neues Memo, das verwirrender nicht sein könnte.




Dienstag, 26. August 2014

Tag 28

Vormittag sehr vernünftig verbracht mit Kurswahl für nächstes Uni-Semester. Dann aber doch nicht final gewählt, da Entscheidung zu gravierend für einen frühen Dienstagmorgen. Dafür einen sehr sophisticated Plan aufgesetzt. 



L'édition française: Es geht um die Verlagshäuser Frankreichs. Die mousquetaires: Gallimard, Flammarion, Albin Michel und le Seuil sind mittlerweile Konzerne, kaufen kleinere Verlage auf und veröffentlichen größtenteils Bücher für le grand public. Das findet Dozent sehr schade, da so kein Risiko gewagt wird. Statt Leidenschaft für Buch stehen Kommerz und Standardisierung der Literatur im Vordergrund. Keine Überraschungen. Als Ausgleich gibt es kleine Verlage. Davon manche sehr renommiert und nur 10 Mitarbeiter, etwa Édition Minuit. Auch Einzelpersonen, die als Verleger aktiv sind, oft Professoren. Bestseller ist in dem Fall ganz terrible, denn dann müssen Bücher vorgedruckt, Media-Anfragen beantwortet und gar der Autor und zusätzliche Mitarbeiter bezahlt werden. Petit Prince besonders rechtlich geschützt, da Saint-Exupéry bei Aufklärungsflug während WWII gestorben.



Les vacances des Français: Franzosen verreisen gerne, am liebsten innerhalb ihres Hexagons. Nur 8% sind Auslandsreisen. Warum auch in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah: Côte d'Azur, Bretagne, Alpen und natürlich Paris. Alles ermöglicht durch fünf Urlaubswochen im Jahr (ab 1936 gab es zwei, dann führte Renault 1956 die dritte semaine de congés payés ein - alle anderen Firmen mussten nachziehen - und ab da kamen dann durch freundlich gesinnte Präsidenten noch zwei Wochen hinzu). Am Anfang wussten Franzosen nichts mit ihren freien Tagen anzufangen. Aber dann kamen Filme ( http://youtu.be/_92Cm8gl7Ls ) und Gutscheinhefte, die das Urlauben ausmalten und dazu inspirierten, doch in Badeanzug und Tennisschläger zu investieren. Auch Kinder haben frei, denn durchschnittlich folgen auf fünf Wochen Schule zwei Wochen Ferien (Japaner im Raum sind ganz erstaunt. Dozentin seufzt und lacht, die Kinder seien halt fatigués nach fünf Wochen, man bedenke, es sind französische Schüler).



Abends zur Bastille (steht nicht mehr! Ganz weg. Es heißt, mit den Steinen wurden Pariser Brücken gebaut. Ein Fundament soll noch von Metrostation aus sichtbar sein. Hab aber nicht probiert, es zu finden, da müde und dunkel). Hier im Quartier viele Kneipen, sozusagen der Pariser Kiez. Und Oper, sehr modern. Oper macht aber auch Sommerpause. Dann von Pont de l'Archevêché (ganz viele Schlösser, die die Stadtverwaltung unbedingt loswerden will: #lovewithoutlocks) auf beleuchtete Notre Dame geblickt, den Mittelpunkt von Paris gefunden und am Rathaus vorbei die Île de la Cité verlassen.